Mittwoch, 19. September 2012

Wertequadrat reloaded, Entwicklungsmöglichkeiten

Ich hole jetzt nochmal das Wertequadrat von letztens auf den Tisch. Heute soll es darum gehen, wie man von links unten nach rechts oben kommt. Oder von rechts unten nach links oben. Der Bösewicht, mit dem ich euch heute konfrontierte heißt "Der Zweifel", besser bekannt als "Was wäre, wenn..." oder "Ob...": "Was wäre, wenn ich schwer krank werde? Ob ich damit klarkomme?" "Ob ich pünktlich zum Bus komme?" Aber er kann sich auch in die Vergangenheit richten: "Ob das gut war, dass ich das gemacht habe?" Meine Zweifel sind meistens zukunftsbezogen, sie gackern lieber über ungelegte Eier als über verschüttete Milch zu weinen, aber jeder Zweifel hat da so seine Lieblingszeit ;)

Ist der Missstand erstmal erkannt ("Ich zweifel ganz schön viel"), kann man sich auch schon frisch und fröhlich an die Arbeit machen.

Schritt 1: Das Wertequadrat zeichnen
Wie das geht, habe ich ja schon beim letzten Mal erklärt. Etwas Kreativität ist gefragt und es wird nicht immer leicht fallen, ein passendes Wort für jede der vier Ecken zu finden. Aber das macht nichts, es reicht, wenn ihr wisst, was gemeint ist. Für den Zweifel hab ich folgendes Wertequadrat entworfen:


Schritt 2: Das Gute annehmen und bewahren
Darüber hatte ich auch schon beim letzten Mal philosophiert. Mindestens 50% haben wir also immer schon, wer zweifelt, hinterfragt sich und die Dinge um sich herum und läuft nicht leichtgläubig in sein Unheil. Das kann durchaus ein Überlebensvorteil sein, den man sich gerne bewahren kann. Es ist hilfreich, zu überlegen, ob man das, was man in der Vergangenheit getan hat, auch in Zukunft so tun möchte (aka "aus Fehlern lernen") und es ist sinnvoll, vorausschauend zu denken und planen und sein gegenwärtiges Handeln in den Dienst seiner persönlichen Werte und Ziele zu stellen. Das können Zweifler ziemlich gut, während Luftikusse das erstmal lernen müssen!

Schritt 3: Die Entwicklungsrichtung festlegen
Mit jemandem, der viel zweifelt, ist also nicht etwas grundverkehrt. Im Gegenteil, er kann etwas Wichtiges sehr gut: Hinterfragen. Er ist lediglich nicht ganz in der Balance. Um diese zu erreichen, muss er zusätzlich lernen, mehr zu vertrauen. Ein ausgeglichenes Leben führt man dann, wenn man sowohl hinterfragt als auch vertraut und zulässt. Alles zu seiner Zeit.

Schritt 4: Alles schön und gut, aber wie entwickel ich denn jetzt bitteschön Vertrauen?
Ich glaube, das ist der Punkt, der für viele am schwierigsten ist. Erkennen, was schiefläuft, können wir meist aus dem FF. Und eine ungefähre Vorstellung, wo die Reise hingehen soll, haben auch viele. Aber wie man von A nach B kommt, ist oft nicht ganz klar. Schulz von Thun empfiehlt in "Miteinander reden, Band 3", seinen Gegner zunächst besser kennenzulernen. Man kann ihm einen Namen geben. Ob ich meinen Zweifel nun "Hinterfrager" nenne oder "August" oder "Berta" ist dabei zweitrangig und der persönlichen Vorliebe überlassen. Außerdem kann mir vorstellen, wie er vielleicht aussehen könnte. Was sagt der Hinterfrager immer? "Ob ich das schaffe?!" Was ist sein Anliegen? Vielleicht will er mich ja vor Gefahr beschützen. Wenn ich merke, dass ich wieder anfange zu zweifeln, kann ich sagen: "Hallo Hinterfrager, da bist du ja!" Da ich weiß, dass er mich lediglich beschützen will und dass sein Vorgehen durchaus einen guten Kern hat (Schritt 2) gelingt es mir vielleicht sogar, ihm weniger Groll entgegenzubringen.

Durch diese Personifizierung entsteht auch automatisch eine gewisse Distanzierung. Während ich vorher vielleicht gedacht habe "Ich bin ein Zweifler", kann ich jetzt feststellen, dass der Zweifel zu mir gehört, aber trotzdem nur ein Teil von mir ist und bei weitem nicht meine gesamte Persönlichkeit ausmacht. Man hört ja oft, dass Menschen über sich sagen "Ich bin so ein Versager" (oder über andere: "Er ist so ein Loser!") Aber niemand versagt immer und überall auf ganzer Linie. Jeder hat seine Glanzmomente und auch mal Zeiten, wo scheinbar alles schiefläuft. Ganz normaaaal. Wir neigen schnell dazu, in ein Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen, wenn es uns nicht gut geht ("Alles ist doof!"). Da kann es helfen, sich vor Augen zu führen, dass es sich vielleicht so *anfühlt*, aber es  nicht so *ist*.

Und das führt automatisch zum Entwicklungsschritt, denn wenn ich nicht ständig und in jeder Minute zweifel, heißt das ja, dass es auch Momente gibt, in denen ich vertraue oder zumindest nicht zweifel. Und hier kommt nun die Achtsamkeit ins Spiel. Ich kann anfangen, darauf zu achten, wann ich voller Vertrauen bin. Vielleicht erinnere ich mich auch an eine Situation in der Vergangenheit, in der ich in mich oder in die Umstände Vertrauen hatte. Die Quintessenz dieser Übung ist es, das Gefühl zu bekommen: "Huch, ich kann das ja schon!" Vielleicht bin ich nicht besonders gut darin zu vertrauen und vielleicht kommt das auch nicht besonders oft vor, aber es ist eine Fähigkeit, die ich sehr wohl - in mehr oder weniger rudimentären Ansätzen - bereits besitze und anwende, und die ich lediglich trainieren brauche. Alternativ kann man auch am Vorbild lernen und auf Menschen achten, die sehr viel Selbstvertrauen ausstrahlen. Es ist immer gut, sich mit Menschen zu umgeben, die einem etwas voraus haben, denn dann kann man von ihnen lernen. Was das Vertrauen und vor allem das Selbstvertrauen betrifft, kann es helfen, mir immer wieder meine Stärken vor Augen zu führen und was ich bereits alles schon erreicht habe. Wenn ich vor einem Vorstellungsgespräch stehe und mich zweifelnd frage, wen ich hier eigentlich zu verarschen versuche, und mich gerade gedanklich in meinen Schwächen suhle, dann kann ich mich daran erinnern, dass ich durchaus einige positive Eigenschaften mitbringe (bei mir sind das bspw. Humor, Intelligenz, Engagiertheit und Einfühlungsvermögen) und dass ich schon einiges geschafft habe in meinem Leben (z.B. mein Studium erfolgreich abgeschlossen).

Analog zum Hinterfrager kann ich somit einen "Vertrauer" entwerfen, der *auch* ein Teil von mir ist. Er sagt: "Du kannst das schaffen, du hast schon so einiges geschafft und du hast was drauf." Sein Anliegen ist es, mich voranzubringen und meinen Zielen und Wünschen näher zu kommen. Beide, Hinterfrager und Vertrauer, gehören zu mir, und ich kann sie in jeder Situation befragen, was sie gerade denken und auf Basis beider Aussagen, die beide einen Teil der Wahrheit enthalten, eine Entscheidung treffen. Der Hinterfrager kommt sowieso routinemäßig angeschossen und gibt ungefragt seine Meinung zum besten. Beim Vertrauer muss ich vielleicht erstmal schauen gehen, wo der sich versteckt, und ihn dann ermutigen, seine Meinung zu sagen (und gleichzeitig dem Hinterfrager sagen, dass ich verstanden habe, was er gesagt hat, und er bitte mal ganz kurz innehalten soll). Mit der Zeit wird er aber mutiger werden, wenn er merkt, dass es mich interessiert, was er zu sagen hat. Und so kann ich nach und nach immer besser von beiden Stärken Gebrauch machen und den Vertrauer langsam in mein Bild von mir selbst integrieren :)

Seinen persönlichen Lumpis eine Gestalt zu geben, kann auch sehr hilfreich sein und lockert die dröge Psychologiestunde ein bisschen auf :)
Wenn ihr für euer persönliches Anliegen Hilfe beim Entwerfen von Wertequadrat und Entwicklungsschritten braucht, scheut euch nicht, mich zu fragen. Gerne auch per Mail: ryanne ät flugblume punkt de. Wenn ich es einrichten kann, helfe ich sehr gern! :) Und gebt mir auch gerne eine Rückmeldung, ob euch meine Darstellungen verständlich sind oder nicht, und ob ihr das Gefühl habt, dass euch das etwas bringt oder auch nicht.

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